Zeitungsartikel-Archiv

Erster Weltkrieg Serie (5)

Fürchterliche Tage, die keiner vergessen wird

13.09.2014

Erster Weltkrieg Serie (5)

In Feldpostbriefen erfahren Angehörige in Friedberg vom Grauen an der Front

Neben den Kriegsopfern wurden im Ersten Weltkrieg auch die Namen der Vermissten im Friedberger Gemeindeboten veröffentlicht. Die Suche nach Vermissten konnte sich lange hinziehen: Schrieb ein Angehöriger in deutscher Sprache an das Rote Kreuz in Genf, so musste die dortige Zentralstelle den Brief erst ins Französische übersetzen. Diese Anfrage wanderte dann von einem Gefangenenlager in Frankreich zum anderen und in jedem Lager durch sämtliche Bataillone und Lazarette. Die Recherche in einem Lager konnte bis zu einer Woche dauern. Bei den 50 Depots deutscher Kriegsgefangener in Frankreich und Algier konnte im ungünstigsten Fall das Nachsuchen bis zu 50 Wochen dauern.

Um den Aufenthaltsort des Vermissten schneller und leichter ausfindig zu machen, zeigte nun Kaspar Wieland, Feldwebel im französischen Gefangenenlager Lechfeld, einen anderen Weg auf. In der Zeitung war sein Vorschlag abgedruckt. Er empfahl, folgenden französischen Brief an das Rote Kreuz in Genf zu schreiben – hier die deutsche Übersetzung:

Friedberg bei Augsburg,
10. Dezember 1914.
An die Direktion des Roten Kreuzes
in Genf (Schweiz)!
Sie würden mich sehr erpflichten, wenn Sie die Güte hätten, diese Kuverte an alle Lager deutscher Kriegsgefangener in Frankreich und Algier zu schicken. Alle diese Briefe, welche den gleichen Inhalt haben (ohne irgend eine Anspielung auf den Krieg zu enthalten), haben nur den einzigen Zweck, den Ort der Gefangenschaft meines Sohnes Joseph Huber zu erfahren. Dessen genaue Adresse ist in allen diesen Briefen bezeichnet.
Wollen Sie meinen vollen Dank und meine ergebensten Grüße entgegennehmen.
Karl Huber, Kaufmann
Friedberg bei Augsburg (Bayern.

Im Friedberger Gemeindeboten finden sich Siegesmeldungen zuhauf,vor allem von der Westfront. Von dem Grauen aber draußen im Krieg erfuhren die Angehörigen in der Heimat erst durch die Feldpostbriefe ihrer Söhne und Ehemänner. So berichtete Peter Gastl aus Lille nach Friedberg am 18. November 1914 von einem schrecklichen Versehen. Als er nachts mit seiner Truppe mit dem Lastauto von Lille zum Schlachtfeld fuhr, um Verwundete zu holen, begegneten sie deutscher Infanterie. Der Wind heulte und so hörten sie nicht das Kommando „Halt!“. Daraufhin wurden sie mit Gewehrfeuer überschüttet. Zu spät bemerkte die preußische Infanterie den verheerenden Irrtum. Mehrere der eigenen Leute wurden tödlich getroffen.

Aus dem Jahr 1914 haben sich aus dem Dorf Stätzling, heute Stadtteil von Friedberg, Abschriften der Briefe beziehungsweise Aufzeichnungen des Bauernsohns Johann Beitlrock erhalten:

„8. August 1914: Meine Lieben!
Bin jetzt in Blamont in Frankreich. Geht mir soweit gut, nur bayrisches Bier geht mir ab und Kost. Hoffentlich sehen wir uns wieder.“
„Laag, 16. August 1914: Liebe Mutter und Geschwister! Heute am Sonntag ist es möglich, Euch wieder zu schreiben. Stehen schon mehrere Tage und Nächte im Gefecht bei Hunger und Durst! Haben sehr große Hitze. Die ganze Zeit hört man Kanonendonner und Gewehrgeknatter. Transporte von Verwundeten,darunter auch Franzosen, ziehen an uns vorüber. Stehen wahrscheinlich vor einer Schlacht, die in ein paar Tagen entschieden sein wird.“

„23. August 1914, Blamont: Lieber August und Afra! Haben eine große Schlacht gehabt! Es standen 3 deutschen Armeekorps 7 französische gegenüber und wir trugen den Sieg davon. Es gab schwere Artilleriekämpfe und viele Verwundete,grausig zum Ansehen. Bin noch immer gesund. Es gibt zwar große Strapazen, aber im Krieg gewöhnt man sich daran. Vielleicht komme ich wieder. Ich hoffe auf ein Wiedersehen. Herzliche Grüße an Mutter.“

„24. August: Zivilisten schossen auf uns. Haus in Brand gesteckt. Als wir zur Batterie fuhren, wurden wir von feindlichem Artilleriefeuer überrascht, standen in höchster Lebensgefahr, hatten 5 Tote und mehrere Verwundete.“

„25. August: Morgens Angriff auf die Franzosen. Artillerie musste vor. Ganze Massen von Franzosen liegen umher. Französische Artillerie gab sofort Feuer auf uns. Ein französischer Flieger überflog uns und in wenigen Minuten wurden wir von einem Hagel französischen Artilleriefeuers überschüttet. Sie schossen gut.“

Wie aus dem Brief des Bataillonschefs an die Mutter, Frau Beitlrock, vom 26. August hervorgeht, erlag ihr Sohn Johann bei Barzien den schweren Verletzungen einer feindlichen Granate. Johann Beitlrock, 22 Jahre alt, fand mit anderen Regimentskameraden bei Barzien seine letzte Ruhestätte.

Ein weiterer Friedberger, Johann (Ag?), schrieb aus Farbus am 25. Mai 1915 nach Friedberg: „Meine Lieben, habe es mir schon arg vorgestellt, aber es übertrifft noch bei Weitem, was man hier sehen und mitmachen muss. Seit 8.Okt. (1914) steht man hier am gleichen Platz und noch hat man keinen Tag Waffenstillstand hier gemacht,um die Toten zu beerdigen. Es ist ein schrecklicher Anblick, wie die armen Opfer hier herumliegen. Viele fangen schon das Verwesen an. Manche werden durch Granaten halb entblößt und zerfetzt. In den alten Schützengräben geht man auf den Toten, die in den zähen Schlamm getreten sind. Es waren fürchterliche Tage, die keiner vergessen wird. So opfert man hier seit Oktober (1914) Hunderte von Menschen um ein paar Meter Land ... Man unterminiert im Boden bis zum Gegner, ladet ihn mit Dynamit, sprengt ihn so samt allen in die Luft, dass Köpfe und menschliche Teile nur so herumfliegen, dann wird der Graben mit dem Bajonett erstürmt. Die Franzosen haben viel Artillerie, besitzen auch Motorbatterien, Revolverkanonen, Gewehrgranaten, welche erst unter dem Kriege eingeführt wurden und schwere Verletzungen verursachen. Gut ist nur, dass sie die meisten über die Graben schießen und viele Blindgänger haben. Das Feld ist gespickt mit Kugeln und Granatsplittern, welche seit fünf Monaten beiderseits verschossen wurden. Von manchen Dörfern steht kein einziges Haus mehr.“

Regine Nägele, © Friedberger Allgemeine

Verlinkt zur Veranstaltung: "Blaue Stunde" - Veranstaltung der Stadt Friedberg (20.01.2015, 19:30 Uhr)

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