Zeitungsartikel-Archiv

Zu Besuch bei Frau Emma aus Tirol

Der Friedberger Heimatverein reiste in das Pustertal. Die Gegend hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich, bei der auch Bayern eine Rolle gespielt haben

20.01.2015

Zu Besuch bei Frau Emma aus Tirol

Die Stiftskirche von Innichen gilt als ältester sakraler Bau im östlichen Alpenraum. Dort stand zuvor das von Tassilo gegründete Kloster.

Die Grenzstadt Friedberg, vor den Toren der ehedem „ausländischen“ freien Reichsstadt Augsburg gelegen, bildete einst das Hauptausfalltor für solche Güter, die nicht nur nach Bozen, sondern nach nach Venedig gelangten oder von dort her kamen. Die Verbindung Augsburg-Venedig führte durch das Pustertal, an dessen Scheitelpunkt sich Niederdorf befindet. Dorthin führte die 4-tägige Reise des Heimatverein.

Schon zur Zeit der Römer führte durch das Pustertal eine wichtige Straße von Auqileja im heutigen Friaul nach Augusta Vindelicorum (Augsburg). In den Wirren der Völkerwanderung begannen die Bayern ihre Herrschaft unter dem Bayernherzog Tassilo III. nach Süden in die Alpentäler auszudehnen. Im Pustertal kämpften sie gegen die aus dem Osten eindringenden Slawen.

Das im Jahr 769 von Tassilo III. gegründete Kloster in Innichen, wo sich heute die romanische Stiftskirche erhebt, bildete ein Bollwerk im Osten des Pustertales gegen die Slawen. Tassilo schenkte das Kloster mit seinem Grundbesitz an den späteren Bischof von Freising. Das freisingische Hochstift als geistliches Oberhaupt übte bis zur Säkularisation 1803 seinen Einfluss auf das Kloster aus. Es hatte in den Anfängen einen bedeutenden Anteil an der ersten intensiven Besiedlung des Pustertales. Sogar Bauern und Handwerker aus dem bayerischen Mutterland wurden zur Besiedelung herangezogen.

Gegen Ende des 8. Jahrhundert gelang es dem Frankenkönig Karl dem Großen, sich ganz Oberitaliens zu bemächtigen. Bayern wurde an das Frankenreich angeschlossen. Dabei bildete das Grenzgebiet Südtirols zu Italien ein notorisch unruhiges Gebiet. Um dort Sicherheit zu schaffen, errichteten die deutschen Kaiser an Eisack und Etsch die geistlichen Fürstentümer Trient und Brixen als unabhängige Territorien unter direkter Reichshoheit. Der Kaiser wollte damit loyale Verwalter schaffen. Die Bischöfe übten aber aus kirchenrechtlichen Gründen nicht die weltliche Macht aus, sondern übergaben sie Vögten. Diese gründeten bald Adelgeschlechter.

Letzten Endes setzten sich die Grafen von Tirol durch. Tirol mit seiner Landeshauptstadt Innsbruck wurde in den Rang eines souveränen Landes gehoben. Die kinderlose letzte Regentin Tirols Margarethe Maultasch übergab zu Lebzeiten ihr Erbe 1363 an die Habsburger. Nur die Grafen von Görz regierten noch das Pustertal. Nach ihrem Aussterben zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam das Pustertal ebenfalls zu Tirol und damit zum Haus Habsburg.Tirol, und somit auch Südtirol, gehörte bis 1918 zum österreichischen Habsburgerreich.

Allerdings ergriff das mit Frankreich verbündete Bayern in den Wirren der Zeit während der Napoleonischen Kriege vorübergehend von Tirol Besitz Die von Bayern übergestülpten Veränderungen führten zu Spannungen und Unruhen.

Einen unmittelbaren Eindruck vom Geschehen des Tiroler Freiheitskampfes vom August 1809 erhält der Besucher des Riesenrundgemäldes auf dem Berg Isel bei Innsbruck. Um ihn herum ist auf 1000m2 Fläche die legendäre Schlacht am Berg Isel real dargestellt, in der Tiroler Freiheitskämpfer ein bayerisches Heer unter französischem Kommando in die Flucht schlagen. Innsbruck erblickt man in der Ferne, als wäre es wirklich, und nicht in einer Entfernung von nur 8 m (!), auf Leinwand gemalt!

Auch in Niederdorf im Pustertal, dem Ziel der Reise des Heimatvereins, lagen 1809 bayerische Soldaten. Sie wurden von aufständischen Tirolern gefangen genommen, wobei Tote zu beklagen waren.

Die unweit sich befindende französische Generalität ließ die beiden Hauptanführer in Niederdorf hinrichten. Die entsetzte Schwester eines der beiden hingerichteten Opfer ritzte in ihrem tiefen Schmerz mit ihrem Diamantring den Namen des Bruders und das Datum der Hinrichtung zur ständigen Erinnerung in eine Fensterscheibe. So jedenfalls schildert es ihre Schwiegertochter Emma, die mit dem Sohn Joseph Hellensteiner verheiratet war.

Und diese Emma war es, die als Wirtin das Hotel „Schwarzer Adler“ in Niederdorf, in dem nun der Heimatverein sein Quartier bezog, zu höchster Berühmtheit führte.
Legendär ist der Brief gegen Ende des 19. Jahrhunderts, der mit der bloßen Anschrift an „Frau Emma in Tirol“ von Amerika kommend, sein Ziel erreichte.

Als junge Ehefrau übernahm Emma (1817-1904) zusammen mit ihrem Mann das Wirtshaus zum Schwarzen Adler am Hauptplatz in Niederdorf. Sie verstand es, die Gäste zu günstigen Preisen überaus komfortabel zu betreuen, so dass sie gerne wiederkamen. Emma tat sich auch hervor, allgemein den Fremdenverkehr in Niederdorf zu fördern. Viele Neuerungen, vor allem in der Milchwirtschaft, gehen auf sie zurück. Zum Nutzen der Bewohner versandte sie Butter aus Almen des Hochpustertales bis nach Rom, Neapel und sogar Ägypten. Weitsichtig trat sie dafür ein, die Eisenbahnführung und den Bahnhof nah an den Ort zu legen.

1871 wurde die Pustertalbahn eröffnet. Während des Eisenbahnbaus schwärmte es im Pustertal von Ingenieuren. Viele von ihnen hatten am Bau des Suez-Kanals mit gearbeitet. Reichlich zahlten sie Emmas Gastfreundschaft zurück, indem sie ihren Namen in die Welt hinaustrugen. Tatsächlich entwickelte sich der „Adlerwirt“ zu einer in ganz Europa bekannten Gastwirtschaft. Namhafte Dichter, unter ihnen Peter Rossegger, fanden sich ein. Auch der berühmte Sohn der Stadt Aichach, der deutsche Schriftsteller Ludwig Steub (1812-1888) besuchte 1870 Emma und setzt ihr in seinem Werk „Drei Sommer in Tirol“ ein literarisches Denkmal.

Kaiser Franz Josef persönlich ehrte Emma im Jahr 1899 mit der Verleihung des goldenen Verdienstkreuzes. Einen Höhepunkt erlebte das Pustertal mit der Eröffnung des Grand Hotels am Pragser Wildsee. War das Pragser Tal wegen seiner Heilquellen schon vorher ein Anziehungspunkt für den betuchten europäischen Adel, so erwies sich das noble Hotel am See, das Emmas Mann erbauen ließ, als ein Magnet.

Ein Aufschwung des alpinen Tourismus begann. Emma konnte sich der vielen Personen nicht mehr erwehren, die im Hotel am See absteigen wollten. Als prominentester Gast reiste Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand über Niederdorf mit seiner Familie zum Hotel am Pragser Wildsee und genoss dort den Sommer im Jahr 1910.

Ein paar Jahre später erlebten die Menschen Furchtbares im Ersten Weltkrieg, als sie in die Frontlinie gerieten. Nach dem Krieg kam Südtirol und damit auch das kaisertreue Pustertal zu Italien und es blieb von Nordtirol mit der Landeshauptstadt Innsbruck getrennt.

Erneut rückte Niederdorf in den Fokus der Öffentlichkeit nach einer hochdramatischen Befreiungsaktion. Gegen Ende April 1945 erreichte ein Transport von 145 KZ-Häftlingen Niederdorf. Die SS-Wachmannschaft hatte den Befehl, diese nicht lebend in Feindeshand fallen zu lassen. Es handelte sich um wichtige prominente Häftlinge aus 17 europäischen Staaten, die vorher in Dachau von der SS zusammen gezogen worden waren. Zu diesen Häftlingen gehörten u. a. der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg mit Ehefrau, der ehemalige französische Premierminister Léon Blum und der evangelische Theologe Martin Niemöller, zwei Neffen von Churchill sowie Sippenhäftlinge des 20. Juli 1944, u. a. aus den Familien Stauffenberg und Goerdeler.

Es war die deutsche Wehrmacht vor Ort, die die Häftlinge befreite und somit ihre sichere Ermordung verhinderte. Schleunigst wurden sie ins Hotel am Pragser Wildsee verlegt, wo man die befreiten Geiseln in Sicherheit wähnte. Dort wurden sie von Emma Heiss-Hellenstainer, einer Enkelin der berühmten „Frau Emma“, mit offenen Armen empfangen. 60 Jahre danach, im Jahr 2005, feierte man am Pragser Wildsee die Befreiung, bei denen auch noch einige ehemalige Häftlinge mit Familien teilnehmen konnten.

Dass diese Reise bei strahlendem Wetter zu einem Erlebnis wurde, ist in hohem Maße dem Gemeindesekretär von Niederdorf, Dr. Walter Boaretto, zu verdanken, der nicht nur im Vorfeld bei der Organisation half, sondern auch dem Heimatverein einen ganzen Tag widmete. Er führte durch Niederdorf, sorgte dafür, dass die Hoteliersfrau Dr. Caroline Heiss, eine Nachfahrin der berühmten Emma, uns in dem mondänen Hotel am Pragser Wildsee „Schluzkrapfen“ zu Mittag servierte und zeigte uns am Nachmittag Bruneck.

Als einen weiteren Glücksfall erwies sich das Vereinsmitglied Dr. Gerd Köhler, der als beseelter Kunsthistoriker schon vor der Reise in einem Fachvortrag die Kunstschätze des Pustertales den Mitreisenden nahegebracht hatte, die man dann in Innichen, Bruneck, Toblach und Niederdorf besichtigte.

Regine Nägele, © Friedberger Allgemeine

Verlinkt zur Veranstaltung: Mehrtagesreise ins Pustertal (17.10.2014, 07:00 - 20.10.2014, 21:00)

Zurück